- Soziale Inflation stellt Unternehmen und Versicherer vor wachsende Herausforderungen und ist ein wesentlicher Faktor für steigende Kosten von Haftungsansprüchen.
- Sammelklagen in der Pharmaindustrie, die Zunahme von kollektiven Rechtsbehelfen außerhalb der USA und eine steigende Zahl von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit PFAS sind weitere Kostentreiber.
- Eine Analyse von Allianz Commercial zeigt, dass fehlerhafte Produkte in den letzten fünf Jahren die teuerste Ursache für Haftungsansprüche waren und mehr als 40 Prozent deren Werts ausmachten.
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US-amerikanische Jurys haben in den vergangenen Jahren eine Rekordzahl an „Mega-Urteilen“ gegen Unternehmen verhängt. Die sogenannten „nuklearen“ Urteile („nuclear verdicts“) haben sich seit 2020 fast verdreifacht, während sich der Median der Urteile mehr als verdoppelt hat. Allein im Jahr 2023 stieg die Zahl dieser Urteile (>10 Millionen US-Dollar) um mehr als 27 Prozent, während die Zahl der „thermonuklearen“ Urteile (>100 Millionen US-Dollar) um 35 Prozent zunahm, so Marathon Strategies. Dies hat Auswirkungen auf nahezu alle Branchen und ist nicht nur ein Problem für US-Unternehmen, sondern ebenso für internationale Firmen, die in den USA Geschäfte machen. In einer neuen Studie zeigt Allianz Commercial fünf Trends bei Haftpflichtschäden auf, die Unternehmen im Auge behalten sollten.
„Der Versicherungsmarkt steht vor einer Reihe neuer Herausforderungen, die zu zunehmenden Haftpflichtschäden führen“, sagt Alfredo Alonso, Global Head of Liability Insurance bei Allianz Commercial. „Diese zunehmenden Schadentrends beeinflussen die Sichtweise der Versicherer auf Themen wie die Kapazitätsbereitstellung, insbesondere in den USA, und die Rentabilität älterer und zukünftiger Zeichnungsjahre. Die Zusammenarbeit zwischen den Interessengruppen ist von entscheidender Bedeutung, um diese Veränderungen zu bewältigen und die Kosten für Haftpflichtansprüche im Griff zu behalten.“
„Mega-Urteile“ nehmen rasant zu
Die Zunahme der Anzahl und des Umfangs dieser Urteile ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Dazu gehören ein wachsendes Misstrauen gegenüber Unternehmen, neue Taktiken der Klägeranwälte, die Aushöhlung der Deliktsrechtsreform, Veränderungen in der Demografie der Geschworenen und die Normalisierung solcher Urteile, einschließlich der Zunahme von Milliarden-Dollar-Schadensersatzzahlungen für Personenschäden. Die Höhe der Schadensersatzzahlungen kann durch eine Kombination aus Strafschadensersatz, Ausgleichszahlungen und nicht-wirtschaftlichen Schäden, wie Schmerzensgeld, bestimmt werden.
„Solche Trends bei der sozialen Inflation sind langfristig nicht tragbar, da die steigenden Kosten aus Mega-Urteilen letztlich auf Unternehmen, Verbraucher und Versicherer zurückfallen“, sagt Jörg Ahrens, Global Head of Key Case Management, Long Tail Claims bei Allianz Commercial. „Versuche einer Reform des US-Deliktsrechts, wie etwa die Begrenzung nicht-wirtschaftlicher Schäden, waren nicht erfolgreich. Ohne eine wirksame Reform, sind eine engere Zusammenarbeit zwischen Versicherten und Versicherern sowie eine härtere Haltung bei Vergleichen erforderlich, um die Kostenexplosion bei Haftungsansprüchen einzudämmen.“
Sammelklagen im Pharmabereich werden komplexer und teurer
In den vergangenen Jahren ist eine wachsende Zahl von Pharma-, Lebensmittel- und Chemieprodukten zum Ziel milliardenschwerer Sammelklagen in den USA geworden. Darunter fallen beispielsweise Opioide, Talkumpuder, Verdauungsmedikamente oder Herbizide. Krebs oder vermeintlich krebserregende Produkte stehen zunehmend im Mittelpunkt solcher Rechtsstreitigkeiten. Dies führt zu Volatilität bei der Haftpflichtversicherung, da Krebssymptome erst nach langer Zeit auftreten und Risiken viele Jahre nach dem Verkauf eines Produkts und dem Abschluss der Versicherung bekannt werden.
„Produkthaftungsansprüche im Pharmasektor sind häufig kostspielig und komplex, da mehrere Parteien beteiligt und die Verteidigungskosten höher sind sowie höhere Entschädigungen gezahlt werden. Aufgrund der Natur dieser Branche kann ein schädliches Produkt oder ein schädlicher Inhaltsstoff mehrere Klagen auslösen, die sich auf viele Hersteller erstrecken. Dies kann zu einer großen Anhäufung von Verlusten von mehreren Versicherten aus einem einzigen Ereignis führen“, sagt Arne Holzheuer, Leiter der Global Practice Group für Haftung im Chief Claims Office bei Allianz Commercial.
PFAS-Rechtsstreitigkeiten nehmen zu
PFAS, auch bekannt als „ewige Chemikalien“, ist eine Klasse synthetischer Chemikalien, die seit den 1940er Jahren in zahlreichen Industrie- und Konsumgütern wie Lebensmittelverpackungen, Kosmetika und Haushaltswaren und sogar in Feuerlöschschäumen genutzt werden. PFAS sind schwer abbaubar und in den vergangenen Jahren Gegenstand zunehmender Rechtsstreitigkeiten geworden. Drei Bereiche stehen dabei im Mittelpunkt: Umweltverschmutzung, Wasser- und Abfallbehandlung/-kontamination sowie Personenschäden, etwa bei Personen, die direkt mit den Produkten arbeiten, wie Feuerwehrleuten. Aktuell konzentrieren sich Rechtsstreitigkeiten vor allem auf die USA. Die Vergleichszahlungen für PFAS-bedingte Umweltverschmutzung belaufen sich hier bereits auf einen zweistelligen Milliardenbetrag in US-Dollar. Europa hat ebenfalls Fälle zu vermelden, doch das Ausmaß künftiger Rechtsstreitigkeiten ist ungewiss. Weitere Regulierungsmaßnahmen können in Zukunft eine Rolle bei der Gestaltung dieser Prozesse spielen.
Sammelklagen erreichen Rekordzahl in Europa
Die soziale Inflation ist zwar in erster Linie ein US-Phänomen, doch häufen sich auch in einigen europäischen Ländern Sammelklagen. Verbrauchergruppen beginnen, kollektive Rechtsmittel und Gesetzesänderungen zu nutzen, um Unternehmen zu verklagen und nach einem Gerichtsurteil Abhilfemaßnahmen finanzieren zu können. Verbraucherschutzbehörden haben zudem bereits Klagen in Bereichen wie Wasserqualität und Pharmazie eingereicht. Laut der Anwaltskanzlei CMS wurde 2023 in Europa eine Rekordzahl von 133 Sammelklagen eingereicht, was einem Anstieg von zehn Prozent gegenüber 2022 entspricht. Mehr als drei Viertel davon entfielen auf das Vereinigte Königreich, die Niederlande, Deutschland und Portugal. Produkthaftung, Verbraucher- und Personenschäden waren die häufigsten Gründe für Rechtsstreitigkeiten.
Hauptursachen für Haftpflichtansprüche
Der Bericht analysiert einige der Hauptursachen für Haftpflichtansprüche der Versicherungsbranche in den letzten fünf Jahren – Vorfälle mit fehlerhaften Produkten machen mehr als 40 Prozent des Wertes aller Ansprüche aus, wobei die anderen teuersten Ursachen für Ansprüche Kollisionen oder Unfälle, fehlerhafte Verarbeitung oder Wartung und Personenschäden sind.