Die Bilanz von Innenminister Roman Poseck zu den Ausschreitungen in Gießen zeigt vor allem eines: Der Staat sieht sich erneut einer Form des politischen Aktivismus gegenüber, der an Konfliktmuster erinnert, wie man sie eigentlich in den 1980er- und 1990er-Jahren rund um die Startbahn West vermutet hätte – nicht im Jahr 2024. Was sich in Gießen ereignet hat, ist weniger ein Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements als eine Wiederbelebung jener konfrontativen Protestkultur, die schon damals aus dem Ruder lief und Polizisten zu Zielscheiben machte.
Wie schon bei den Auseinandersetzungen am Frankfurter Flughafen, bei denen Polizisten mit Steinen, Molotowcocktails und massiver Gewalt konfrontiert waren, zeigt sich auch heute: Ein vergleichsweise kleiner, aber hochgradig organisierter und gewaltorientierter Teil der Demonstranten nutzt legale Versammlungen als Deckmantel. Diese Gruppen setzen bewusst auf Eskalation, Sabotage und die gezielte Überforderung staatlicher Einsatzkräfte. Dass sich unter 25.000 Demonstranten etwa 1.000 Gewaltbereite befanden, ist keine Randnotiz, sondern ein strukturelles Problem, das man aus den Startbahn-West-Zeiten nur zu gut kennt.
Der Innenminister hat recht: Ohne das massive Eingreifen der Polizei wäre die Lage vermutlich außer Kontrolle geraten. Die Tatsache, dass über 50 Beamte verletzt wurden – durch Steinwürfe, Tritte oder das gezielte Überrennen –, zeigt, wie ernst die Situation war. Wer Polizisten angreift, greift nicht „nur“ Personen an, sondern einen zentralen Pfeiler des demokratischen Rechtsstaats. Das war in den 80ern so, und es gilt heute unverändert.
Es ist daher notwendig und legitim, dass die Polizei Zwang einsetzt, wenn Versammlungsauflagen missachtet, Blockaden errichtet und Einsatzkräfte bedrängt werden. Die wiederkehrende Forderung mancher Aktivisten, man dürfe Regeln ignorieren, weil man für eine „gute Sache“ kämpfe, erinnert an die Parallelrechtsvorstellungen der damaligen Startbahn-West-Autonomenszene. Eine Demokratie kann jedoch nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Gesetzesbrüchen unterscheiden. Rechtsstaatliche Prinzipien gelten universell – oder gar nicht.
Zwar ist richtig, dass die große Mehrheit der Demonstrierenden friedlich war. Aber auch 1981 oder 1987 war nicht jeder Demonstrant rund um die Startbahn gewaltbereit – dennoch bestimmten die Gewalttäter das Bild, weil sie den Staat bewusst herausforderten. Genau das droht sich zu wiederholen: Ein harter, militanter Kern versucht, politische Gegner – in diesem Fall die AfD – nicht nur zu kritisieren, sondern physisch am politischen Wirken zu hindern. Damit wird man nicht zur Verteidigung der Demokratie beitragen, sondern sie untergraben.
Posecks Warnung ist deshalb berechtigt: Wenn Protest in systematische Rechtsbrüche, Blockaden und Übergriffe abgleitet, stärkt das am Ende diejenigen, die man politisch treffen wollte. Gewalt gegen politische Akteure – auch gegen die AfD – ist und bleibt ein Tabubruch.
Der Einsatz in Gießen war teuer, kräftebindend und zweifellos belastend. Aber er war auch notwendig und – angesichts der Umstände – erfolgreich. Die Polizei hat verhindert, dass die Lage auf ein Niveau eskaliert, wie man es einst bei der Startbahn West erlebt hat, als Menschen starben und das Vertrauen in den Staat massiv erschüttert wurde.
Wer heute aus der Geschichte lernen will, muss klar benennen: Friedlicher Protest ist ein demokratisches Recht. Gewalt ist es nicht. Und der Staat darf – ja, muss – mit aller Konsequenz dafür sorgen, dass diese Grenze nicht überschritten wird. Die Polizei verdient dafür Respekt und Rückhalt, nicht pauschale Verdächtigungen oder Relativierungen. [DCM]

