Das Jahr 2026 wird für die Cybersicherheitsbranche ein Wendepunkt – technologisch, politisch und regulatorisch. Führende Expertinnen und Experten aus Europa zeichnen ein klares Bild: Künstliche Intelligenz wird die Bedrohungslandschaft tiefgreifend verändern, Identitäten werden zum zentralen Sicherheitsanker, Lieferketten und KI-Modelle geraten stärker ins Visier, und Europa steht vor einer grundlegenden Neuordnung seiner digitalen Infrastruktur.
Besonders prägend wird der Einsatz von KI – auf Angreifer- wie Verteidigerseite. Laut Andreas Süß (aDvens) werden Angreifer 2026 verstärkt KI nutzen, um hochpersonalisierte Phishing-Attacken und adaptive Täuschungsmanöver in Echtzeit zu erzeugen. Gleichzeitig erwartet er eine Zunahme staatlich orchestrierter Desinformationskampagnen auf Basis glaubwürdig wirkender Deepfakes. Die Konsequenz: Digitale Souveränität wird zum sicherheitspolitischen Schlüsselthema, um Gesellschaften technisch und strategisch unabhängiger zu machen.
Auch die Regulierung zieht an. Mit dem NIS-2-Umsetzungsgesetz verschärft sich 2026 die Pflicht zur Absicherung kritischer Systeme erheblich. Wie Jochen Sauer (Axis Communications) erklärt, transformiert dies insbesondere die Videosicherheit: Kamerasysteme gelten nicht mehr als reine Überwachungslösung, sondern als cyber-physische Plattformen, die verschlüsselt, auditierbar, KI-gestützt und tief in SOC-Prozesse integriert sein müssen. Cyber-Resilienz wird damit zum zentralen Qualitätsmaßstab.
Parallel verschiebt sich der Fokus in Richtung Identitätssicherheit. Der klassische Perimeter spielt in modernen OT- und vernetzten industriellen Umgebungen kaum noch eine Rolle, betont Létitia Combes (BxC Security). Angreifer zielen zunehmend auf menschliche und maschinelle Identitäten, weshalb Zertifikatsmanagement und automatisierte PKI-Prozesse zum Fundament einer sicheren Maschinenkommunikation werden.
Die Gefahr von innen wächst ebenfalls. Für Henrik Nitsche (Jamf) ist die Sicherung von BYOD-Geräten durch Containerisierung 2026 unvermeidbar, um die zunehmenden Insider-Bedrohungen einzudämmen. Da Mitarbeiter bereits über legitimen Zugriff verfügen, müssen Unternehmensdaten strikt von privaten Bereichen getrennt werden, um Risiken effektiv zu begrenzen.
Eine neue Angriffsform rückt zudem in den Vordergrund: die Manipulation von KI-Trainingsdaten. Pieter Arntz (Malwarebytes) erwartet einen massiven Anstieg solcher Supply-Chain-Angriffe, bei denen Angreifer subtile Hintertüren in Datensätzen platzieren oder Modelle gezielt verformen. Transparenz und durchgängige Integritätsprüfung über den gesamten KI-Lebenszyklus werden dadurch geschäftskritisch.
Mit Blick auf die geopolitische Lage gewinnt digitale Souveränität eine strategische Dimension. Daniel Fried (Object First) sieht Datenkontrolle nicht länger als Compliance-Aufgabe, sondern als Machtfaktor: Unternehmen investieren in Rückverfolgbarkeit, Datenkartierung und unveränderliche Backups, während „Trusted Cloud“-Konzepte zu zentralen Auswahlkriterien werden. Ähnlich argumentiert Monir Gueblaoui (Scrive), der die jüngsten Störungen globaler Cloud-Anbieter als Weckruf interpretiert: Europa müsse eigene, sichere digitale Ökosysteme entwickeln, um langfristig resilient und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Schließlich rückt 2026 ein Megathema in den Mittelpunkt: Post-Quantum-Sicherheit. Claus Gründel (Swissbit) warnt, dass Unternehmen spätestens jetzt beginnen müssen, ihre Systeme auf quantenresistente Kryptografie umzustellen – insbesondere in langlebigen industriellen und IoT-Umgebungen, in denen Hardware kaum erneuert wird. Zugleich wird die Transparenz von Lieferketten zu einem zentralen Qualitäts- und Sicherheitsfaktor.
Fazit: 2026 wird ein Jahr, in dem KI, Identität, Souveränität und Compliance die Cybersicherheitsstrategien bestimmen. Unternehmen, die jetzt investieren, schaffen die Grundlage für robuste, resilientere und souveränere digitale Ökosysteme.
Was bedeutet NIS-2 wirklich für Ihre physische Zutrittskontrolle?
Compliance-Beauftragte kennen das Szenario: Sie investieren Millionen in Netzwerksicherheit, implementieren ausgefeilten Endpunktschutz und richten eine Zero-Trust-Architektur ein – doch all das nützt nichts, wenn jemand durch eine unverschlossene Tür in den...

