Das Haftungsumfeld für Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte entwickelt sich so dynamisch und komplex wie selten zuvor. Unternehmen weltweit befinden sich in einem Spannungsfeld aus geopolitischen Unsicherheiten, wirtschaftlichen Belastungen, technologischen Umbrüchen und wachsendem gesellschaftlichem Druck. In dieser Situation geraten nicht nur Organisationen als Ganzes, sondern zunehmend auch die handelnden Personen in den Fokus von Regulierungsbehörden, Aktionären, Aufsichtsorganen und der Öffentlichkeit. Der neue Allianz-Bericht zu Directors-and-Officers-Risiken (D&O) für 2025/2026 zeigt eindrucksvoll, wie stark sich die Risikolandschaft verändert hat, welche Treiber besonders relevant sind und welche Herausforderungen Führungskräfte künftig beherrschen müssen. D&O-Versicherungen, einst vor allem als Schutz vor klassischen Managementfehlern gedacht, haben sich dabei zu einem zentralen Instrument moderner Corporate Governance entwickelt und stehen an der Schnittstelle zwischen strategischer Steuerung, regulatorischer Verantwortung und technologischem Wandel.
Geopolitische Entwicklungen rücken inzwischen ganz oben auf die Tagesordnung vieler Unternehmen. Konflikte, politische Instabilität, Handelsstreitigkeiten und Sanktionen entfalten weitreichende Konsequenzen für globale Geschäftsmodelle. Während früher vor allem wirtschaftliche Indikatoren im Vordergrund standen, bestimmen heute geopolitische „Schockwellen“ operative Herausforderungen, regulatorische Neuausrichtungen und Reputationsrisiken. Der Bericht macht deutlich, dass Führungskräfte zunehmend dafür haftbar gemacht werden können, wenn sie die Auswirkungen geopolitischer Veränderungen falsch einschätzen, Sanktionsregime nicht einhalten oder regulatorische Anpassungen in wichtigen Märkten zu spät umsetzen. In einer Welt, in der globaler Wettbewerb und politische Realignments eng verwoben sind, entsteht ein Geflecht aus Risiken, das D&Os in ganz neuer Form herausfordert. Fehlentscheidungen können schnell in Aktionärsklagen, aufsichtsrechtliche Maßnahmen oder internationale Rechtsstreitigkeiten münden. Geopolitische Intelligenz und systematisches Monitoring globaler Hotspots sind deshalb nicht mehr nur eine Option, sondern ein elementarer Bestandteil moderner strategischer Führung.
Parallel zu den geopolitischen Risiken wachsen die Herausforderungen im Bereich der Cybersicherheit. Cyberrisiken haben sich in den vergangenen Jahren rasant zu einem der häufigsten Auslöser für D&O-Schäden entwickelt. Mit einer deutlichen Zunahme von Datenpannen, Ransomware-Angriffen und technischen Störungen steigt der Druck auf das Management, ein belastbares Cyberrisikomanagement zu etablieren. Der Allianz-Bericht zeigt, dass Vorstände und leitende Angestellte zunehmend für Versäumnisse haftbar gemacht werden können, wenn sie Cyberbedrohungen nicht angemessen adressieren. Besonders relevant wird dies im Zusammenhang mit gesetzlichen Vorgaben wie der europäischen NIS2-Richtlinie, die nicht nur strengere Sicherheitsstandards fordert, sondern auch die persönliche Verantwortung von D&Os für die Überwachung der Cybersicherheit und der Reaktionsfähigkeit eines Unternehmens auf Cybervorfälle hervorhebt. Die Schwelle für Klagen sinkt, während die Bereitschaft, Ansprüche geltend zu machen, sowohl von Aktionären als auch von Regulierungsbehörden zunimmt. Selbst wenn Führungskräfte nicht unmittelbar verantwortlich sind, entstehen im Rahmen von Cybervorfällen oft hohe Verteidigungs- und Untersuchungskosten, die das Risiko weiter erhöhen. Der Bericht unterstreicht, dass Investitionen in Cyberabwehr, Business-Continuity-Management und Datenschutz nicht nur operative Resilienz fördern, sondern auch entscheidend für die Prävention haftungsrelevanter Situationen sind.
Ein weiterer Schwerpunkt des Allianz-Berichts liegt auf den rasant wachsenden Risikofeldern der künstlichen Intelligenz (KI). Der globale KI-Markt wird sich in den kommenden Jahren nahezu vervielfachen, gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit haftungsrelevanter Ereignisse. KI-Systeme versprechen Effizienzgewinne, neue Geschäftsmodelle und Innovationsschübe, bergen jedoch erhebliche rechtliche und regulatorische Herausforderungen. Der Bericht verweist darauf, dass die Zahl KI-bedingter Rechtsstreitigkeiten – insbesondere im Bereich der „Securities Class Actions“ – deutlich zugenommen hat. Aktionäre und Aufsichtsbehörden beobachten sehr genau, ob Unternehmen AI-Risiken korrekt einschätzen, ob Leistungsversprechen realistisch sind oder ob sogenanntes „AI-Washing“ betrieben wird, also übertriebene oder irreführende Darstellungen von Fähigkeiten und Chancen. Fehlerhafte Modelle, algorithmische Verzerrungen, Datenschutzverletzungen oder fehlerhafte Offenlegungen können zu erheblichen Kursverlusten führen – und damit zu direkten Haftungsansprüchen gegen D&Os. Für Führungskräfte bedeutet dies, dass die Integration von KI nicht nur ein technologisches Projekt ist, sondern auch ein Governance-Thema mit erheblichen Offenlegungspflichten und Compliance-Anforderungen.
Neben Technologie und Geopolitik spielen auch Umwelt- und Produkthaftungsfragen eine wachsende Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS), den sogenannten „Forever Chemicals“. Diese langlebigen Stoffe, die seit den 1940er-Jahren in zahlreichen Produkten eingesetzt wurden, sind mittlerweile Gegenstand umfangreicher internationaler Gerichtsverfahren. Da PFAS mit Gesundheits- und Umweltproblemen in Verbindung stehen, entwickeln sich daraus erhebliche Haftungsrisiken. Der Allianz-Bericht weist darauf hin, dass allein in den USA Kosten in Höhe von über 100 Milliarden US-Dollar möglich sind. Für D&Os entsteht Verantwortung, wenn Risiken nicht erkannt oder unzureichend offengelegt werden. Aktionäre werfen Vorständen zunehmend vor, potenzielle Umwelt- oder Produktrisiken zu spät kommuniziert oder falsch eingeschätzt zu haben. Dies kann insbesondere dann relevant werden, wenn negative Nachrichten zu Kursrückgängen führen und Haftungsansprüche begründet werden. Der Bericht betont, dass Unternehmen frühzeitig erkennen müssen, welche neuen Risiken am Horizont entstehen, und diese transparent kommunizieren sollten. Fehlende oder verspätete Offenlegung wird immer häufiger Grundlage für finanzielle Ansprüche gegen Führungskräfte.
Auch private Unternehmen gehören mittlerweile zu den zentralen Verursachern und Betroffenen von D&O-Risiken. Steigende Kosten, volatile Märkte, neue regulatorische Anforderungen und der Druck der digitalen Transformation belasten die Verantwortlichen erheblich. Besonders Handels- und Zollrisiken sowie geopolitische Einflüsse machen privaten Unternehmen zu schaffen. Wenn Unternehmen die Auswirkungen von Zöllen falsch einschätzen, fehlerhafte Angaben machen oder Preisüberwälzungen nicht transparent kommunizieren, kann dies zu regulatorischen Untersuchungen, zivilrechtlichen Klagen oder Vorwürfen der Verletzung von Treuepflichten führen. Der Bericht empfiehlt privaten Unternehmen daher, verstärkt in Szenarioplanung zu investieren und Risiken in Lieferketten sowie tarifbezogene Abhängigkeiten systematisch zu analysieren. Eine robuste Governance-Struktur, klare Dokumentation und proaktive Risikokommunikation sind entscheidend, um Haftungsansprüche zu vermeiden.
Hinzu kommt ein deutlicher Anstieg der weltweiten Insolvenzen. Prognosen zufolge sollen die globalen Unternehmensinsolvenzen 2025 um 6 % und 2026 um weitere 5 % steigen, womit fünf aufeinanderfolgende Jahre mit Zuwächsen erreicht werden. Besonders kritisch ist jedoch die wachsende Zahl sogenannter „Mega-Insolvenzen“, bei denen Unternehmen mit Vermögenswerten über einer Milliarde US-Dollar betroffen sind. Für D&Os steigt damit das Risiko erheblich: Sobald ein Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gerät, erweitern sich die Treuepflichten, und jede Entscheidung unterliegt strengster ex-post-Bewertung durch Behörden, Gläubiger und Insolvenzverwalter. Schlechte Dokumentation, verspätete Reaktionen oder interne Interessenkonflikte können zu erheblichen Haftungsansprüchen führen. Selbst der bloße Verdacht finanzieller Schieflagen kann Auslöser für Rechtsstreitigkeiten sein, da Stakeholder versuchen, ihre eigenen Interessen abzusichern. Der Bericht macht deutlich, dass Führungskräfte im Vorfeld einer möglichen Insolvenz besonders sorgfältig agieren, ihre Entscheidungsprozesse dokumentieren und rechtliche Beratung frühzeitig einbeziehen sollten.
Insgesamt zeigt die Allianz-Analyse, dass sich die Zahl der D&O-Schäden weltweit seit drei Jahren kontinuierlich erhöht und inzwischen wieder das Niveau – oder sogar darüber – der Vor-Pandemie-Zeit erreicht. Während Nordamerika weiterhin führend bei der Schwere der Schadenfälle ist, steigen auch in Europa und Asien die Anspruchsbereitschaft und Komplexität der Verfahren deutlich an. Das Zusammenspiel aus geopolitischer Unsicherheit, Cyberrisiken, KI-bezogenen Rechtsstreitigkeiten, Umweltverfahren und wirtschaftlicher Instabilität bildet eine Risikolandschaft, die Führungskräfte erheblich fordert und hohe Anforderungen an Governance, Compliance und strategisches Risikomanagement stellt.
Der Allianz-Bericht verdeutlicht somit, dass 2026 ein Schlüsseljahr für D&O-Haftung und Corporate Governance sein wird. Die Risiken entstehen zunehmend aus externen Schocks, technologischen Fehlentwicklungen und regulatorischen Veränderungen – weniger aus klassischen Fehlentscheidungen. Unternehmen müssen ihre Governance- und Risikostrukturen anpassen, ihre Überwachungssysteme stärken und die Kompetenzen ihrer Führungsgremien erweitern. Ebenso wichtig ist es, frühzeitig mögliche Belastungsszenarien zu erkennen und interne Prozesse so auszurichten, dass Transparenz und Verantwortlichkeit gewährleistet sind. D&O-Versicherungen werden damit nicht nur zu einem essenziellen Schutzmechanismus, sondern auch zu einem strategischen Begleiter, der Impulse für professionelles Management und nachhaltige Risikosteuerung setzt.
Alliant D&O Report zum Diownload: https://tinyurl.com/4ax84mzx



