eCall, Smartphones und Smartwatches: Chancen und Grenzen automatischer Notrufsysteme

August 21, 2025

Automatische Notrufsysteme gelten als bedeutende Innovation im Rettungswesen: Sie erkennen Unfälle, Stürze oder kritische Situationen – und alarmieren selbständig die Notrufzentrale über die 112. Doch diese Entwicklung bringt nicht nur Vorteile. In der Praxis führen technische Auslöser häufig zu massenhaftem Fehlalarm – etwa in Bayern, wo Leitstellenbetreiber von Fehlalarmquoten von über 90 % berichten 1. Die Technik rettet Leben – sie bindet aber gleichzeitig wertvolle Ressourcen. Ein Blick auf die bundesweite Entwicklung, organisatorische Anpassungen und internationale Erfahrungen zeigt dringenden Handlungsbedarf.

Fehlalarme als Massenphänomen

Die Integrierten Leitstellen in Bayern melden mehrere automatische Alarmierungen pro Tag – oft ohne tatsächlichen Notfall. In Augsburg etwa gingen im vergangenen Jahr rund 350 eCall-Meldungen ein; über 75 % davon entpuppten sich als Fehlalarm12. Smartphones und Smartwatches tragen entscheidend zur hohen Quote bei: Bewegungsfehler, versehentliche Trigger oder technische Störungen lösen teils ungewollt Notrufe aus. Das Ergebnis ist eine Flut an Alarmen, die jedes Mal manuell geprüft werden müssen – mit beträchtlicher Belastung für die Leitstellen.

Belastung für Personal und Systeme

Jeder eingehende Notruf wird zunächst wie ein realer Notfall behandelt. Disponenten müssen Rückrufversuche unternehmen, Standortinformationen prüfen und die Lage bewerten – selbst bei ausbleibender Reaktion. Dieser Prozess bindet Zeit und Aufmerksamkeit, die in kritischen Situationen fehlen können. Die psychische Belastung der Mitarbeiter ist nicht zu unterschätzen: Jeder Anruf kann ein lebensbedrohlicher Fall sein – auch wenn es sich am Ende um ein Versehen handelt.

Technische Schwachstellen und Verbesserungsmöglichkeiten

Viele Fehlalarme lassen sich auf technische Ursachen zurückführen. Sturz- und Crash-Erkennungssysteme reagieren teilweise bereits auf harmlose Erschütterungen. Rückmeldemöglichkeiten für Nutzende sind oft unzureichend – sodass Fehlalarme erst spät erkannt werden. Technisch ausgereifte Standortübermittlung wie Advanced Mobile Location (AML) ist noch nicht überall implementiert. Fachleute fordern verbindliche technische Standards – etwa zur Sensitivität, Datensicherheit und Rückrufintegration. Während eCall-Daten bereits automatisch in Leitstellensysteme eingespeist werden, bleibt die Verarbeitung von SOS-Anrufen aus Wearables oft rein sprachbasiert und weniger effizient.


Organisatorische Konsequenzen für Leitstellen

Die zunehmende Zahl automatischer Notrufe nötigt Leitstellen zur Anpassung ihrer Arbeitsprozesse. Schulungen für Disponenten, interne Checklisten zur Klassifizierung von Fehlalarmen und Priorisierungsmethoden sind gefragt. Auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit muss verbessert werden: Nutzende sollten informiert werden, wie solche Systeme funktionieren, wie Fehlalarme vermieden werden können und wie sie im Ernstfall reagieren sollten.

Lebensretter trotz Fehlalarmen

Trotz der Herausforderungen belegen dokumentierte Einsätze, dass automatische Notrufe bereits Leben gerettet haben – etwa bei bewusstlosen Personen ohne Zeugen oder bei Alleinunfällen ohne Zeugen. Besonders eCall-Systeme beweisen ihre Wirkung, indem sie verlässliche Daten senden und Rettungskräfte direkt leiten. Solche Erfolgsgeschichten belegen den Wert der Technologie – und rechtfertigen den weiteren Ausbau.

Rechtlicher Rahmen und europäische Perspektive

Seit dem 31. März 2018 ist eCall in allen neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen der EU verpflichtend eingeführt, um schnelle Hilfe bei Unfällen zu ermöglichen34. Die Verordnung sichert zudem Datenschutz: Übermittelte Daten dürfen ausschließlich im Notfall verwendet werden, eine ständige Rückverfolgung ist ausgeschlossen5. In anderen europäischen Ländern wie Österreich oder den Niederlanden gibt es bereits standardisierte Datenanbindungen für Notrufe, was die Effizienz unterstützt. Solche Ansätze könnten als Vorbild für eine europaweite Harmonisierung dienen.

Ausblick

Automatische Notrufe sind eine wertvolle Innovation – sie verändern das Rettungssystem nachhaltig. Doch ihre derzeitige Ausführung ist noch unausgereift. Es bedarf technischer Verbesserungen, klarer Standards und enger Zusammenarbeit zwischen Herstellern, Netzbetreibern und Rettungsorganisationen, um Leitstellen zu entlasten und die Systeme zur verlässlichen Hilfe auszubauen. Leitstellen stehen vor dem organisatorischen Wandel: Klare Prozesse, geeignet geschulte Mitarbeitende und transparente Kommunikation sind entscheidend, damit automatische Notrufe zu mehr Sicherheit statt zu zusätzlicher Belastung beitragen.

Literatur und Quellen
  1. „Automatisierte Notrufe halten Leitstellen auf Trab“, heise.de – Infoseite, abgerufen via dpa (Mehr als 90 % Fehlalarme in Bayern). URL: https://www.heise.de/news/Automatisierte-Notrufe-halten-Leitstellen-auf-Trab-10560034.html 2
  2. Antenne Bayern, „E-Call-Systeme: Mehr Fehlalarme in Bayern“, meldete vermehrt Fehlalarme in Leitstellen. URL: https://www.antenne.de/nachrichten/bayern/zunahme-von-fehlalarmen-durch-e-call-systeme-in-bayern
  3. Verbraucherzentrale NRW, eCall: So funktioniert das automatische Notrufsystem im Auto, veröffentlicht 13.06.2022. URL: https://www.verbraucherzentrale.nrw/wissen/reise-mobilitaet/unterwegs-sein/ecall-so-funktioniert-das-automatische-notrufsystem-im-auto-32100
  4. Wikipedia, Artikel „ECall“, zuletzt abrufbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/ECall
  5. EUR-Lex, Konsolidierter Text der Verordnung (EU) 2015/758, ab 31.03.2018 verbindlich. URL: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A02015R0758-20180331

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