Fachartikel von Olaf Hohmann, EHI
Die Handelsgastronomie in Deutschland befindet sich in einem dynamischen Wandel. Vom klassischen Imbiss in der Vorkassenzone hat sich das Segment hin zu durchdachten, teilweise hochklassigen gastronomischen Konzepten im Handel entwickelt. Inzwischen betreiben deutsche Händler sogar mehrere Sternerestaurants. Getrieben durch veränderte Konsumgewohnheiten, neue Ernährungstrends und steigende Ansprüche an Aufenthaltsqualität wird die Handelsgastronomie zunehmend zu einem wirtschaftlich relevanten Bestandteil des stationären Einzelhandels.
Laut Erhebungen des EHI Retail Institute stieg der Umsatz der Handelsgastronomie in Deutschland von 10,09 Mrd. Euro im Jahr 2022 auf 11,7 Mrd. Euro im Jahr 2023. Für 2024 berichten Händler im Durchschnitt von einem Umsatzwachstum von 6,1 Prozent, was einem Gesamtvolumen von 12,41 Mrd. Euro entspricht. Die Prognose für das laufende Jahr geht von einem weiteren Anstieg um 4,1 Prozent aus, womit der Bruttoumsatz voraussichtlich rund 12,92 Mrd. Euro betragen wird.
Bedeutung der Handelsgastronomie
In einem Umfeld rückläufiger Kundenfrequenz im stationären Einzelhandel dient die Handelsgastronomie zunehmend als Differenzierungsmerkmal und Frequenzbringer. Als sogenannter „Dritter Ort“ – neben Zuhause und Arbeitsplatz – erfüllt sie soziale, emotionale und funktionale Bedürfnisse der Kundschaft. Gleichzeitig positionieren sich Händler mit hochwertigen gastronomischen Angeboten zunehmend auf Augenhöhe mit der klassischen Gastronomie.
Erfolgreiche Konzepte zeichnen sich idealerweise durch eine klare Positionierung, konsistente Qualität, optimierte Betriebsabläufe sowie eine enge Integration in die Markenidentität des Handelsunternehmens aus. Kooperationen mit erfahrenen Gastro-Partnern oder Franchise-Systemen ermöglichen zusätzlichen Know-how-Zugang und steigern die operative Effizienz.
Definition Handelsgastronomie
Handelsgastronomie ist das kontinuierliche Angebot von gastronomischer Leistung sowie von Getränken und verzehrfertig zubereiteten Speisen, die im direkten oder konzeptionellen Zusammenhang mit Handelsaktivitäten stehen.
Erlebnisgastronomie als Differenzierungsinstrument
Moderne Handelsgastronomie dient nicht allein der Versorgung, sondern schafft Aufenthaltsqualität und trägt zur emotionalen Bindung bei. Sie wird zunehmend als integrativer Bestandteil der Markeninszenierung verstanden. Konzepte wie Markthallen-Gastronomien, Showküchen oder Live-Cooking-Stationen zeigen, wie Essen und Einkauf zu einem ganzheitlichen Erlebnis verschmelzen. Food Courts entwickeln sich zu sozialen Treffpunkten mit urbanem Charakter, ergänzt durch temporäre Angebote wie Pop-up- oder Eventformate.
Gesundheit und Nachhaltigkeit im Fokus
Die Nachfrage nach gesunden und nachhaltigen Produkten wächst kontinuierlich. Bio, regionale Herkunft, vegetarische und vegane Optionen sowie ressourcenschonende Zubereitungsmethoden sind zunehmend Bestandteil des Angebots. Auch Ernährungstrends wie Low Carb oder Superfoods werden berücksichtigt. Nachhaltigkeit spiegelt sich zudem in Verpackungskonzepten, Mehrwegsystemen und Energieeffizienz wider. Angesichts gesetzlicher Vorgaben (z. B. Einwegplastikverbot) und gestiegener Kundenerwartungen wird die Umsetzung transparenter und ökologisch orientierter Angebote zu einem Wettbewerbsfaktor vor allem bei jüngeren Zielgruppen.
Digitalisierung und Automatisierung
Digitalisierung prägt zunehmend alle Stufen der gastronomischen Wertschöpfung. Digitale Menütafeln, Self-Order-Terminals, kontaktlose Bezahlung, KI-gestützte Bestell- und Küchenprozesse sowie Food-Forecast-Systeme zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung sind bereits im Einsatz oder befinden sich in der Pilotphase. Loyalty-Programme, digitale Rezeptvorschläge oder personalisierte Angebote durch KI-gestützte Analysen des Kaufverhaltens steigern die Kundenbindung und Effizienz. Auch robotergestützte Systeme – z. B. für die Zubereitung der Speisen oder Servicetätigkeiten – gewinnen an Relevanz. Für Herbst 2025 hat die REWE Region West die weltweit erste Integration autonomer Lebensmittelfertigung in den Lebensmitteleinzelhandel angekündigt. Im Rahmen der achtmonatigen Pilotphase wird der vollautonome Küchenroboter CA-1 in mehreren REWE-Supermärkten in Deutschland eingesetzt.
Wachstumstreiber: Convenience, To-go, Mittag und Co.
Angesichts eines mobilen Lebensstils wächst die Bedeutung von To-go- und Convenience-Angeboten weiter. Frühstücksoptionen, Snacks, Bowls oder Heißgetränke müssen nicht nur schnell und flexibel verfügbar, sondern auch qualitativ hochwertig, transparent deklariert und preislich attraktiv sein. Hybrid-Konzepte, die sowohl Inhouse-Konsum als auch Take-away ermöglichen, gewinnen an Bedeutung. Ein Beispiel für die strategische Weiterentwicklung und ein neues Geschäftsmodell liefert Globus: Der Händler hat mit seiner neuen Gastronomiekarte ein System etabliert, das den Restaurantbereich vor allem zur Mittagszeit als regionale Betriebsverpflegung öffnet. Unternehmen in der Umgebung der Standorte erhalten damit eine flexible Möglichkeit, ihre Mitarbeitenden kostengünstig zu verpflegen und gleichzeitig deren Bindung an den Betrieb zu stärken.
Neue Anforderungen an Personal und Organisation
Der anhaltende Fachkräftemangel stellt die Branche vor Herausforderungen. Gleichzeitig verändern sich die Anforderungen an das Personal: Neben gastronomischen Kenntnissen sind Kommunikationsfähigkeit, technisches Verständnis und Serviceorientierung gefragt. Digitale Lernplattformen, gezielte Schulungen und transparente Entwicklungsperspektiven gewinnen an Bedeutung, um Fachkräfte zu gewinnen und langfristig zu binden. Automatisierung und Digitalisierung, wie beispielsweise bei der Personaleinsatzplanung, können dazu beitragen, Mitarbeitende von Routinetätigkeiten zu entlasten und für beratende oder kreative Aufgaben zu qualifizieren.
Die Handelsgastronomie der Zukunft
Die Handelsgastronomie steht vor weiterem Wachstum – nicht nur aufgrund eines attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnisses, sondern vor allem aufgrund ihrer Rolle als emotionaler und funktionaler Mehrwert im stationären Einzelhandel. In einer zunehmend hybriden Konsumrealität, veränderten Tagesabläufen und wachsendem Bedürfnis nach sozialer Interaktion wird Gastronomie zur Schlüsselfunktion für Aufenthaltsqualität und Kundenbindung. Zukunftsfähige Konzepte zeichnen sich durch modulare Strukturen, Nachhaltigkeit, kundenorientierte Food-Angebote, technologische Integration und Standortflexibilität aus. Handelsgastronomie wird somit nicht nur als Ergänzung, sondern als strategischer Bestandteil eines erfolgreichen Handelsstandorts verstanden. Sie kann nicht nur zusätzliche Umsätze generieren, sondern einen entscheidenden Beitrag zur Kundenfrequenz, Markenbindung und Differenzierung im stationären Wettbewerb leisten.
Die Zukunft der Handelsgastronomie – Szenario-Studie und Forum
Die Aktivitäten des EHI-Forschungsbereichs Handelsgastronomie stehen 2025 ganz im Zeichen der Zukunft. In einem mehrstufigen Szenario-Projekt wird gemeinsam mit Händlern und Experten an Zukunftsräumen für die Handelsgastronomie gearbeitet.
Die Ergebnisse dieser Workshops werden am 24. und 25. September 2025 im Rahmen des EHI Handelsgastronomie Forums präsentiert.
Weitere Informationen: www.handelsgastronomie.de ; www.handelsgastronomie-forum.de
Über den Autor
Olaf Hohmann ist Mitglied der Geschäftsleitung des EHI Retail Institute und Forschungsbereichsleiter Handelsgastronomie.
Zur EuroShop 2026
Die Dimension Food Service Equipment in Halle 13 auf der EuroShop 2026 präsentiert Lösungen rund um Cooking & Baking, Convenience Systems, Food Technology und To-Go-Solutions. Gastronomie ist ein Megatrend im Handel. Das Food Service Innovation Hub beleuchtet zudem die digitale Transformation und Automatisierung in der Handelsgastronomie, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Aussteller können sich für das Food Service Innovation Hub noch anmelden. Weitere Informationen unter www.euroshop.de.