Hessen steht vor der zunehmenden Herausforderung, unbemerkten und potenziell gefährlichen Drohnenüberflügen wirksam zu begegnen – sowohl bei privater Nutzung in sensiblen Bereichen als auch bei gezielten Aktionen fremder Staaten. Innenminister Roman Poseck hat im Rahmen eines Besuchs der hessischen Polizeifliegerstaffel in Egelsbach angekündigt, die Fähigkeiten der Polizei zur Detektion und Abwehr moderner Drohnen deutlich auszubauen. Im Folgenden werden der Status quo, die geplanten Maßnahmen sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken ausführlich dargestellt.
Aktueller Stand: Kompetenzen und rechtlicher Rahmen
Bereits seit 2019 existiert in Hessen ein Kompetenzzentrum Drohnen bei der Polizeifliegerstaffel, welches als zentrale Einrichtung zur Koordination von Drohneneinsatz und Drohnenabwehr dient. Wie Poseck betont:
„Hessen ist in Sachen Drohnen schon jetzt gut aufgestellt. Im Jahr 2019 wurde ein entsprechendes Kompetenzzentrum bei der Polizeifliegerstaffel eingerichtet. Die Polizei setzt rund 100 Drohnen seit mehreren Jahren erfolgreich ein, insbesondere zur Aufklärung bei Großereignissen, wie zur Fußball-EM, Staatsbesuchen und Versammlungen.“
Das zeigt, dass Hessen über Erfahrung mit kooperativen Drohnen verfügt und sie in verschiedenen Einsatzszenarien bewährt eingesetzt hat.
Zum rechtlichen Rahmen: Mit dem neuen hessischen Polizeigesetz (HSOG) wurde eine Grundlage geschaffen, die insbesondere mit § 15e eine Befugnis normiert, „zur Abwehr einer Gefahr, die von Drohnen ausgeht, Polizeibehörden geeignete technische Mittel gegen das System, dessen Steuerungseinheit oder Steuerungsverbindung einzusetzen“. Damit unterscheidet sich Hessen im Vergleich zu anderen Bundesländern, zumindest nach Angaben des Ministers, in einem Punkt:
„Im Unterschied zu dem von Bayern gestern veröffentlichten Gesetzentwurf besteht in Hessen allerdings im Hinblick auf § 15d HSOG gesetzlich gegenwärtig keine Möglichkeit, Drohnen zu bewaffnen. Wir werden prüfen, ob an dieser Stelle eine Gesetzesänderung sinnvoll ist …“
Geplante Ausbauten und Maßnahmen
Nach Aussage von Innenminister Poseck liegt der Schwerpunkt auf folgenden Bereichen:
- Beschaffung moderner Technik
Ziel ist es, der Polizei „modernste Technik zur Detektion und Abwehr von Drohnen zur Verfügung zu stellen und auch Drohnen der neuesten Generationen effektiv begegnen zu können.“
Dazu zählen:- Systeme zur Störung von Steuerverbindungen
- GPS-Jamming und Radiofrequenz-Jamming
- Übernahme der Steuerung (bei kooperativen Drohnen)
- Anschaffung weiterer Radar- und Detektionstechnik, Fahrzeuge und auch eigene Drohnen
- Gesetzliche und rechtliche Prüfung
Es wird geprüft, ob eine Erweiterung des HSOG, z. B. zur Bewaffnung von Drohnen, sinnvoll und rechtlich zulässig wäre. - Taktik & Koordination
Neben der Technik soll auch die Aufdeckung des Dunkelfeldes verbessert werden, durch einheitliche Lagebilder und bessere Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden auf Landes- und Bundesebene. Zuständigkeiten sollen klarer definiert werden. - Ultima Ratio Abschuss
Der Abschuss von Drohnen wird ausdrücklich als „ultima ratio und als ergänzende Maßnahme“ bezeichnet. Poseck warnt zugleich vor den Risiken eines Drohnenabschusses: „Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass der Einsatz von Waffengewalt auch mit erheblichen Risiken für Dritte, zum Beispiel im Hinblick auf den Flugverkehr, und Schwierigkeiten im Hinblick auf Flughöhe und Geschwindigkeit verbunden sein kann.“ - Finanzierung
Die Landesregierung will sicherstellen, dass die erforderlichen Mittel vorhanden sind, unter anderem durch Einbeziehung des Sondervermögens für Innere Sicherheit.
Technische Aspekte: Kooperative vs. unkooperative Drohnen
Ein zentraler technischer Unterschied besteht zwischen kooperativen und unkooperativen Drohnen:
- Kooperative Drohnen sind solche, deren Steuer- oder Funksignal auslesbar ist, sodass Informationen wie Standort der Drohne, Standort des Fernpiloten, Hersteller, Typ, Seriennummer oder Flugdaten verfügbar sind. Bei diesen kann man in vielen Fällen die Steuerung übernehmen oder die Drohne zur Rückkehr bewegen.
- Unkooperative Drohnen hingegen operieren ohne auslesbares Steuer- oder Funksignal, ggf. autonom programmiert oder mittels KI, wodurch eine Echtzeit-Fernsteuerung fehlt oder verschlüsselt ist. Diese sind deutlich schwieriger zu detektieren und zu kontrollieren.
Die bisherige Technik Hessens (und vieler anderer Bundesländer) ist insbesondere bei kooperativen Drohnen leistungsfähig – Erkennung, GPS-/Frequenz-Jamming, Übernahme etc. stehen zur Verfügung. Bei unkooperativen Drohnen ist der Aufwand deutlich höher, da es einer Kombination aus Radar, optischer Sensorik, Infrarot, möglicherweise auch Wärmebild- und KI-gestützter Videoverarbeitung bedarf.
Chancen und Potenziale
- Erhöhte Sicherheit
Durch moderne Detektionstechniken und präzisere Rechtsgrundlagen kann das Risiko unbemerkter Überflüge, etwa über kritische Infrastruktur, reduziert werden. - Rechtlicher Fortschritt
Hessen ist mit dem HSOG (§ 15e) anderen Bundesländern voraus, was die Befugnisse betrifft, technische Mittel gegen Steuerungen von Drohnen einzusetzen. Das legt eine stärkere Handlungsfähigkeit der Polizei fest. - Abschreckende Wirkung
Ein robustes Abwehrsystem kann potenzielle Akteure abschrecken, drohende Drohnenbedrohungen deutlich zu nehmen oder gar zu vermeiden. - Koordination und Standardisierung
Einheitliche Lagebilder und klare Zuständigkeiten können Reaktionszeiten verkürzen; Abstimmungen mit dem Bund und anderen Ländern ermöglichen Skaleneffekte und Synergien.
Risiken, Herausforderungen und offene Fragen
- Technische Komplexität und Kosten
Moderne Systeme wie Radar, optische Sensorik, den Einsatz von Radar- und Frequenzsensoren, KI-basiertem Video, etc., sind jeweils komplex, wartungsintensiv und teuer. Die Kosten steigen mit dem Grad der Automatisierung und dem Schutzbedarf (z. B. Flughäfen, Kraftwerke). - Rechtliche Grenzen und Beschwerden
Insbesondere wenn es um Maßnahmen wie das Abschießen von Drohnen geht, gibt es erhebliche Einschränkungen, z. B. Flugverkehr, Gefahr für Dritte, Eigentumsrechte. Gesetzesänderungen sind politisch und rechtlich heikel. - Privatsphäre und Datenschutz
Detektions- und Überwachungsmaßnahmen berühren Fragen des Datenschutzes, der Überwachung und möglicher Fehlalarme – besonders wenn mit optischen oder Video-Kameras gearbeitet wird. KI-Systeme können Fehler machen, bzw. missbraucht werden. - Zuständigkeiten und Koordination
Wie von Interessenvertretungen wie GdP Hessen bemängelt wird, sind Zuständigkeiten nicht immer klar. Verwirrung zwischen Landespolizei, Bundespolizei oder gar Bundeswehr kann in kritischen Situationen zu Verzögerungen führen. (Gewerkschaft der Polizei) - Dynamik der technischen Entwicklung
Drohnentechnologie entwickelt sich rasch – bessere Sensorik, AI, autonome Systeme. Systeme, die heute modern sind, könnten morgen schon veraltet sein, wenn nicht permanent nachgerüstet wird. - Interdisziplinäre und föderale Abstimmung
Maßnahmen in Hessen wirken nur wirkungsvoll, wenn sie gut mit den Regelungen auf Bundesebene und den Praktiken anderer Bundesländer abgestimmt sind. Sonst drohen Lücken und uneinheitlicher Vollzug.
Vergleich und Verbindung zu Bundes- und Landesinitiativen
- Auf Bundesebene wird derzeit ebenfalls über Änderungen im Luftsicherheitsgesetz diskutiert, die es der Bundeswehr ermöglichen sollen, bei besonders schweren Vorfällen illegaler Drohnen einzuschreiten – insbesondere wenn die Polizeibehörden nicht über die notwendige technische Kapazität verfügen. (BMI Bund)
- In Hessen gibt es Forderungen von Polizei-Gewerkschaften, wie der GdP Hessen, nach einem schnelleren, verbindlichen Konzept und dezentral vorgehaltene Ausrüstung. (Gewerkschaft der Polizei)
Handlungsempfehlungen
Auf Grundlage der bisherigen Lage und der geplanten Ausbaumaßnahmen lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:
- Konkreter Stufenplan
Ein mehrstufiges Ausbauprogramm, das zunächst Kerninfrastrukturen und besonders gefährdete Objekte (z. B. Flughäfen, Kraftwerke) priorisiert, bevor eine flächendeckende Ausstattung erfolgt. - Modulare und skalierbare Technik
Lösungen sollten modular aufgebaut sein, damit sie je nach Bedrohung und Einsatzort variieren können (z. B. mobile vs. stationäre Systeme, optisch vs. Radarbetrieb). Skalierbarkeit erleichtert langfristige Anpassungen. - Rechtsrahmen weiter entwickeln
- Prüfung einer Gesetzesänderung bezüglich Bewaffnung von Drohnen (sofern notwendig und rechtlich zulässig)
- Klare Normen für Abschussrecht, Einschränkungen, Verantwortlichkeiten
- Datenschutzgarantien und zivilrechtliche Absicherungen bei Überwachungstechnologien
- Dezentralisierung und Redundanz
Damit Abwehrmaßnahmen schnell verfügbar sind, müssen dezentrale Einheiten mit entsprechender Technik und Einsatzfähigkeit (24/7) ausgestattet sein, und nicht nur zentrale Stellen. - Ausbildung und Personal
Die Technik allein genügt nicht. Es braucht spezialisierte Kräfte, Schulungen, klare Einsatzprotokolle und Übungsszenarien – insbesondere für den Umgang mit unvorhergesehenen Drohnenbedrohungen. - Koordination mit Bund und anderen Ländern
Bei Bundesgesetzgebung, gemeinsame Standards und besonders bei grenzübergreifenden Drohnenflügen erforderlich. Hessen sollte aktiv in IMK und vergleichbaren Gremien mitwirken, wie Poseck signalisiert. - Finanzielle Sicherstellung
Mittel bereitstellen, etwa durch das Sondervermögen “Innere Sicherheit”, Landesmittel und ggf. EU-Förderungen oder Kooperationen mit betroffenen Bereichen der kritischen Infrastruktur.
Fazit
Hessen hat mit dem Kompetenzzentrum Drohnen und dem neuen HSOG bereits wichtige Grundlagen gelegt. Innenminister Poseck hat ambitionierte Pläne zur technischen Ausrüstung, Rechtsentwicklung und Kooperation formuliert. Die Vorreiterrolle, die Hessen anstrebt, ist zwar nicht ohne Risiko – besonders finanziell, rechtlich und operativ – doch sie erscheint notwendig angesichts der sich verschärfenden Bedrohung durch unkooperative und fremdgesteuerte Drohnen. Entscheidend wird sein, wie praxisnah und flexibel die Maßnahmen umgesetzt werden: Technik, Recht und Personal müssen Hand in Hand gehen. Nur so kann Hessen die Verantwortung für den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger, seiner kritischen Infrastruktur und seiner öffentlichen Räume in einer zunehmend komplexen Drohnenwelt wirksam wahrnehmen.