Beim Gipfel zur Europäischen Digitalen Souveränität 2025 in Berlin ist nach Einschätzung von Martin Hager, Gründer und CEO des Kommunikationsdienstleisters Retarus, ein zentraler und lange überfälliger Fokus gesetzt worden: die Stärkung europäischer digitaler Unabhängigkeit. Entscheidend sei nun, dass aus politischen Ankündigungen konkrete Umsetzungsschritte folgen. „Die Ankündigung, von der Debatte zur konkreten Umsetzung zu kommen, ist wichtig. Entscheidend wird sein, ob wir den Mut finden, Abhängigkeiten tatsächlich zu reduzieren und eigene Lösungen in Europa zu bauen und zu skalieren“, so Hager.
Im Mittelpunkt des Kommentars stehen drei strategische Kernpunkte, die aus Sicht des Unternehmers entscheidend dafür sind, digitale Souveränität nicht nur politisch zu fordern, sondern technologisch wie wirtschaftlich umzusetzen.
Souveränität als Betriebsgrundlage
Hager betont, dass Souveränität keine abstrakte Idee, sondern operative Notwendigkeit sei. Jüngste Ausfälle internationaler Technologie- und Cloudanbieter hätten die Verwundbarkeit digitaler Wertschöpfungsketten offengelegt. „Jüngste Störungen großer Cloud- und Plattformanbieter haben gezeigt, wie verwundbar Wertschöpfungsketten sind, wenn wenige Gatekeeper ins Wanken geraten.“ Unternehmen mit kritischen Prozessen benötigten deshalb „Wahlfreiheit, technische Transparenz und rechtliche Kontrolle – nicht nur Best Effort und wohlklingende SLAs.“
Offene Standards als Grundlage für Unabhängigkeit
Als zweite Säule verweist Hager auf die Bedeutung offener, interoperabler Technologien. Europäische Innovationen wie GSM und ISDN dienten dabei als historische Beispiele. „Europas Unternehmen haben […] gezeigt, wie Interoperabilität Kosten senkt und Resilienz erhöht und Innovation im Sinne des Kunden treibt.“ Proprietäre Systeme großer Plattformanbieter führten hingegen zu Monopolen und erhöhter Abhängigkeit. Daraus folge eine strategische Architekturentscheidung: „Wo es kritisch ist, sollten wir bauen. Dort, wo wir kaufen, müssen Schnittstellen offen und portabel bleiben.“
Regulierung als Enabler, nicht Belastung
Die aktuelle EU-Regulierung, darunter NIS2 und DORA, bestätige zwar tatsächliche Risiken, erhöhe jedoch den Aufwand insbesondere für Mittelstand und regulierte Sektoren erheblich. „Wenn wir Souveränität ernst meinen, braucht es vereinfachte, europaweit harmonisierte Regeln und Zertifizierung, klare B2B-spezifische Leitplanken und eine Umsetzung, die machbar ist.“ Der angekündigte Digital-Omnibus solle deshalb „Regeln vereinfachen und harmonisieren – aber ohne Grundrechte zu schwächen und ohne Doppelregulierung.“
Investitionen, Beschaffung und „Buy European“
Hager begrüßt französische Bestrebungen, Finanzierung und europäische Technologiepräferenzen zu priorisieren, fordert jedoch parallel stärkere Investitionen in Kompetenzen und Infrastruktur. Deutschlands wirtschaftliche Zurückhaltung stelle ein Hindernis dar: „Deutschlands Kultur der Risikoaversion ist hier eine echte Hürde.“ Öffentliche Vergaben müssten europäische Anbieter stärker berücksichtigen und Kriterien wie Datensouveränität und Vendor-Lock-in höher gewichten. „Unternehmen wünschen sich heute Umsatz, keine Subventionen. Wir dürfen in diesen isolationistischen Zeiten keine Scheu haben, ‘buy European’ auszusprechen.“
Cloud: Modular statt Monolith – Kritik an Gaia-X
Für den Cloudbereich fordert Hager flexible Architekturen, die Datenhaltung nach Bedarf steuern und Mehr-Quellen-Strategien ermöglichen. Notwendig seien „klare Exit-Strategien, technische Beherrschbarkeit und eine belastbare Interoperabilität über Anbieter hinweg.“ Komplexe Modelle wie Gaia-X sieht er kritisch: Unternehmen müssten Lösungen „herantasten – ganz im Gegenteil zu komplexen Architekturmodellen wie Gaia-X.“
Souveränität als Wirtschaftsfaktor
Damit der Gipfel Wirkung entfaltet, sollte Souveränität aus Sicht Hagers messbar werden: „Wir definieren Souveränität als Wettbewerbsfähigkeit – messbar an Marktanteilen europäischer Lösungen, Time-to-Market und Exportquote.“ Dazu brauche es vereinfachten Marktzugang, beschleunigte Genehmigungen etwa für Rechenzentren und KI-Projekte sowie verbindliche offene Standards, um „Anbieterwechsel, Multi-Sourcing und europäische Skalierung real werden“ zu lassen.
Den Weg zu technologischem und wirtschaftlichem Selbstbewusstsein in Europa hält Hager für anspruchsvoll, aber notwendig. „Der Weg ist steinig. Doch er ist unumgänglich, um Europas Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Freiheit auch in Zukunft zu sichern.“

