MIT-Studie: KI im Mittelstand

August 27, 2025

Warum Pilotprojekte scheitern – und wie „Industrial AI Apps“ den Durchbruch bringen können

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als einer der größten Wachstumstreiber der kommenden Jahre. Doch die Realität in vielen Unternehmen sieht ernüchternd aus: Ein Großteil der Pilotprojekte bleibt ohne nachhaltigen Erfolg. Während Milliardenbeträge in generative KI (GenAI) fließen, verpuffen die Effekte in der Praxis häufig – insbesondere im industriellen Mittelstand.

Die hohe Ausfallquote von KI-Initiativen

Studien renommierter Forschungseinrichtungen zeigen ein klares Bild: Rund 95 Prozent aller GenAI-Pilotprojekte zur Umsatzsteigerung liefern keinen messbaren Mehrwert. Grund dafür ist eine Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten moderner KI-Technologien und den konkreten Abläufen in Unternehmen.

Während flexible, generische KI-Tools im privaten oder individuellen Kontext durchaus funktionieren, tun sie sich im Unternehmensumfeld schwer. Sie können sich nicht an spezifische Produktionsabläufe, Lieferketten oder Serviceprozesse anpassen – und verpassen damit ihr eigentliches Ziel: die Wertschöpfung zu erhöhen.

Altlasten in der IT bremsen den Fortschritt

Besonders im produzierenden Gewerbe verstärkt sich dieses Problem. Hier treffen innovative KI-Ansätze auf veraltete ERP-Systeme, MES-Plattformen oder Maschinenparks, die oft weder über moderne Schnittstellen noch über kompatible Datenstrukturen verfügen.

Eine Analyse des Kompetenzzentrums WIRKsam kommt zu dem Ergebnis, dass nahezu jedes zweite KI-Projekt nicht an der Technologie selbst, sondern an unzureichender Datenqualität, fehlenden Integrationsmöglichkeiten und organisatorischen Hürden scheitert.

Hinzu kommt ein Kompetenzproblem: Während viele IT-Abteilungen in Individualentwicklungen investieren, fehlt es auf Seiten der Fachbereiche häufig an Know-how, um diese Lösungen sinnvoll einzusetzen. Laut einer Untersuchung von Stifterverband und McKinsey beklagen rund 80 Prozent der Unternehmen deutliche Defizite im Umgang mit KI – obwohl das Management das Potenzial durchaus erkennt.

Infokasten: Typische Stolpersteine bei KI-Projekten

Wo Unternehmen besonders häufig scheitern
  • Fehlende Datenqualität: Unvollständige Stammdaten oder inkonsistente Artikelnummern führen zu fehlerhaften Prognosen.
  • IT-getriebene Projekte: Wenn KI-Vorhaben ausschließlich von IT-Abteilungen gesteuert werden, fehlt oft das Verständnis für operative Herausforderungen.
  • Überdimensionierte Custom-Lösungen: Aufwendige Eigenentwicklungen verursachen hohe Kosten und lange Projektlaufzeiten, ohne garantierten Nutzen.
  • Legacy-Systeme ohne Schnittstellen: Alte ERP- und Produktionssysteme blockieren eine reibungslose Integration.
  • Kompetenzdefizite im Unternehmen: Mangelndes Know-how bei Fachabteilungen verhindert den effektiven Einsatz von KI.

Praxisnahe Lösungen statt teurer Experimente

Ein vielversprechender Ausweg liegt in vorkonfigurierten KI-Anwendungen für die Industrie. Diese sogenannten Industrial AI Apps sind speziell auf Produktions- und Geschäftsprozesse zugeschnitten und lassen sich direkt einsetzen.

Der Vorteil: Statt jahrelanger Entwicklungsphasen können Unternehmen sofort starten und erhalten ab dem ersten Tag belastbare Ergebnisse.

Beispiele aus der Praxis:

  • Ein Automatisierungsspezialist optimierte mithilfe KI-gestützter Bestandsplanung mehrere hundert Bauteile und reduzierte Lagerkosten erheblich.
  • Ein global tätiger Roboterhersteller implementierte eine KI-basierte Suchlösung, mit der weltweit zehntausende Mitarbeiter schneller auf technische Dokumente zugreifen.
  • Ein mittelständischer Elektronikproduzent steigerte mit KI-gestützter Produktionsplanung seine Liefertreue innerhalb weniger Monate von 86 auf 96 Prozent.

Vier Erfolgsfaktoren für KI im Mittelstand

Damit KI-Projekte nicht im Labor stecken bleiben, sondern im Alltag Nutzen stiften, lassen sich vier zentrale Erfolgsfaktoren ableiten:

  1. Fachabteilungen in die Verantwortung holen
    Nicht die IT-Abteilung, sondern Einkauf, Produktion oder Vertrieb sollten KI-Projekte führen. Sie kennen die Engpässe im Tagesgeschäft und können den Nutzen greifbar definieren.
  2. Standardisierte KI-Apps nutzen
    Vorgefertigte Lösungen für Bedarfsplanung, Wartung oder Fertigungssteuerung liefern sofortige Effekte, da sie auf bewährten Algorithmen und Branchenerfahrung basieren.
  3. Datenqualität sichern
    Nur mit sauberen Stammdaten, eindeutigen Artikelnummern und klaren Governance-Regeln können KI-Systeme zuverlässige Ergebnisse liefern.
  4. Schrittweise Integration
    Statt komplexe Altsysteme abrupt zu ersetzen, empfiehlt sich ein evolutionärer Ansatz: KI-Funktionen werden über Schnittstellen und Middleware sukzessive angebunden, ohne den Betrieb zu gefährden.

Vom Experiment zur Transformation

Die Zeit von reinen KI-Experimenten geht zu Ende. Gefragt sind skalierbare, branchenspezifische Lösungen, die sich nahtlos in bestehende Systeme einfügen und unmittelbare Mehrwerte schaffen.

Für den industriellen Mittelstand markiert dies einen Wendepunkt: Wer jetzt auf praxiserprobte Industrial AI Apps setzt, kann Wettbewerbsvorteile realisieren, Prozesseffizienz steigern und gleichzeitig den Schritt in die digitale Transformation konsequent vollziehen.

Die entscheidende Frage lautet nicht mehr, ob KI den Mittelstand erreicht – sondern wer den Übergang zur systematischen Nutzung erfolgreich meistert.

Hintergrund

Die im Artikel zitierte MIT-Studie trägt den Titel „The GenAI Divide – State of AI in Business 2025“ und wurde im August 2025 vom MIT Media Lab, genauer von der NANDA-Initiative (Networked Agents and Decentralized AI), veröffentlicht. Ziel der Untersuchung war es, den tatsächlichen Geschäftsnutzen von generativen KI-Projekten in Unternehmen zu messen und die Gründe für deren häufiges Scheitern offenzulegen.

Die Forscher stützten sich dabei auf die Analyse von 300 dokumentierten KI-Implementierungen weltweit, ergänzt durch 150 strukturierte Interviews mit CIOs, CTOs und Fachbereichsleitern sowie eine Umfrage unter 350 Mitarbeitenden, die direkt in Pilotprojekten involviert waren. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus: 95 Prozent aller generativen KI-Pilotprojekte erzielten keinen messbaren Effekt auf Umsatz oder Profitabilität. Lediglich rund fünf Prozent führten zu direkt nachweisbarem Wachstum oder signifikanten Effizienzgewinnen. Als Hauptursache identifizierte das MIT einen fundamentalen „Learning Gap“ zwischen generischen KI-Modellen und den spezifischen Abläufen in Unternehmen. Während Tools wie ChatGPT für Einzelanwender durch ihre Flexibilität punkten, scheitern sie im Unternehmensumfeld, weil sie nicht aus operativen Prozessen lernen oder sich dynamisch anpassen können.

Weitere zentrale Erkenntnisse der Studie betreffen die Implementierungsstrategien. Viele Unternehmen setzen nach wie vor auf maßgeschneiderte KI-Entwicklungen, obwohl vorgefertigte Lösungen oft schneller Wirkung entfalten. Hinzu kommen klassische Hemmnisse wie unzureichende Datenqualität, fehlende Schnittstellen zu Legacy-Systemen und organisatorische Barrieren. Besonders deutlich wurde auch ein Kompetenzdefizit: 79 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, nicht über ausreichendes KI-Know-how zu verfügen. Gleichzeitig erkennen 86 Prozent der Führungskräfte zwar ungenutzte Potenziale, doch fehlen ihnen die notwendigen Fähigkeiten und Ressourcen für eine erfolgreiche Umsetzung.

Die MIT-Forscher empfehlen daher, den Fokus stärker auf anwendungsorientierte, spezialisierte KI-Lösungen zu legen, die auf konkrete Branchen- und Use-Case-Bedürfnisse zugeschnitten sind. Voraussetzung dafür ist eine belastbare Datenbasis mit klarer Governance und sauberen Stammdaten. Zudem sollten Pilotprojekte stärker in den Fachabteilungen verankert werden, da diese den größten Praxisbezug haben, während die IT eine unterstützende Rolle einnimmt. Abschließend plädiert die Studie für eine evolutionäre Integration in bestehende Systeme statt disruptiver Komplettumstellungen – nur so lasse sich die Kluft zwischen technologischen Möglichkeiten und operativer Realität im Unternehmensalltag nachhaltig schließen.

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