Palantir als Symptom einer größeren Herausforderung

November 20, 2025

Europäische Souveränität zwischen Anspruch und Abhängigkeit

Die Debatte um Palantirs wachsende Präsenz in Europa ist weit mehr als eine Auseinandersetzung über ein einzelnes Unternehmen. Sie berührt den Kern europäischer digitaler Souveränität – also die Frage, ob Staaten und Gesellschaften ihre sicherheitsrelevante digitale Infrastruktur selbst gestalten oder von externen Akteuren abhängig werden. Der Fall Palantir zeigt beispielhaft, wie komplex dieses Spannungsfeld geworden ist.

Pro: Effizienz, technologische Stärke und strategischer Nutzen

Zweifellos besetzt Palantir technologisch eine Spitzenposition. Über zwei Jahrzehnte kontinuierlicher Produktentwicklung – insbesondere bei Plattformen wie Gotham – haben dem Unternehmen einen Vorsprung verschafft, der laut Analysten mehrere Jahre betragen soll. Angesichts zunehmender Cyberbedrohungen, hybrider Konflikte und einer Polizei- und Verwaltungslandschaft, die vielerorts digital hinterherhinkt, erscheint es nachvollziehbar, dass europäische Behörden auf bewährte Lösungen zurückgreifen.

Auch die Benutzerfreundlichkeit, insbesondere für nicht-technische Anwender, ist ein klarer Vorteil. Behörden, die rasch in Lageanalysen, Datenintegration und operativer Umsetzung Fortschritte erzielen wollen, finden in Palantir ein leistungsfähiges, integriertes Werkzeug. Dass mehrere deutsche Bundesländer bereits positive Erfahrungen mit der Software gesammelt haben, verstärkt den Eindruck, dass Palantir kurzfristig echte Lücken schließt, die europäische Anbieter bislang nicht füllen konnten.

In einer Welt, in der Datenverarbeitung, Mustererkennung und operative Entscheidungsunterstützung sicherheitsrelevant geworden sind, will kein Staat experimentieren. Palantir liefert – und tut das schnell.

Contra: Abhängigkeit, Intransparenz und stille Machtverschiebungen

Gerade die Stärke Palantirs wirft jedoch die entscheidenden Fragen auf. Kaum ein anderes Unternehmen steht so eng mit US-Sicherheitsbehörden in Verbindung und operiert in einer derart schwer durchschaubaren Firmenstruktur. Der wachsende Einsatz in Europa schafft dadurch strukturelle Abhängigkeiten, die sich später nur schwer auflösen lassen. Wer operative Prozesse einmal auf proprietären, hochintegrierten Plattformen aufbaut, verliert nicht nur technische, sondern auch strategische Autonomie.

Datenschützer und zivilgesellschaftliche Gruppen warnen zu Recht vor einem möglichen Kontrollverlust. Je sensibler die Daten – Polizeidaten, Infrastrukturdaten, Risikomodelle – desto größer das Risiko, dass externe Akteure Einblicke erhalten oder systemisch Einfluss gewinnen. Dabei geht es nicht allein um Missbrauch, sondern um Abhängigkeit durch Komplexität: Wer die Modelle definiert, bestimmt mit, was als Risiko gilt, wie Bedrohungen bewertet werden und welche Handlungsoptionen sichtbar werden.

Hinzu kommen kulturelle und ethische Bedenken. Berichte über eine „sektenähnliche“ Unternehmenskultur, strenge Hierarchien und eine feindbildgetriebene Unternehmensphilosophie werfen die Frage auf, ob ein solcher Akteur die Wertebasis europäischer Behörden und Demokratien teilt. Bei sicherheitskritischen Technologien zählt nicht nur die technische Leistungsfähigkeit, sondern auch das institutionelle Ethos.

Europas eigentliche Herausforderung: Fehlende Alternativen

Der Kern des Problems liegt weniger in Palantirs Auftreten als in Europas strukturellem Rückstand. Dass ein US-Unternehmen diesen Markt nahezu monopolartig besetzen kann, ist ein Hinweis auf strategische Versäumnisse: fehlende langfristige Investitionen in europäische Data-Analytics-Plattformen, geringe Interoperabilität öffentlicher Dateninfrastrukturen und eine fragmentierte Beschaffungspolitik.

Solange Europa keine eigenständigen, leistungsfähigen Alternativen aufbaut, wird die Debatte über Souveränität zwangsläufig defensiv bleiben – eine Reaktion auf Abhängigkeiten, die längst bestehen.

Weder Panik noch Fatalismus – aber ein strategischer Kurswechsel

Die Auseinandersetzung um Palantir sollte nüchtern geführt werden. Europas Behörden benötigen leistungsfähige Datenplattformen, und Palantir kann kurzfristig wichtige Funktionen liefern. Gleichzeitig darf die Abhängigkeit von einem einzelnen, außereuropäischen Akteur nicht zur schleichenden Preisgabe digitaler Souveränität führen.

Die politische Debatte zeigt, dass es nicht nur um Datenschutz oder einzelne Aufträge geht, sondern um eine grundlegende Machtverschiebung: Wer die digitale Infrastruktur kontrolliert, kontrolliert den Möglichkeitsraum staatlichen Handelns.

Wenn Europa ernsthaft souverän bleiben will, muss es nicht nur Grenzen definieren, sondern auch eigene Kapazitäten aufbauen – technologisch, organisatorisch und strategisch. Nur dann wird die Frage nicht mehr lauten, ob Palantir Europas Souveränität gefährdet, sondern ob Europa gelernt hat, sie selbst zu gestalten.

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