Reportage: Wenn der Strom versiegt – Der Hochtaunuskreis bereitet sich auf den Ernstfall vor

Juli 25, 2025

An diesem sonnigen Julitag ist die Atmosphäre auf dem Gelände der Freiwilligen Feuerwehr Friedrichsdorf-Köppern angespannt – nicht etwa wegen akuter Gefahr, sondern wegen der Frage, wie gut eine Region vorbereitet ist, wenn genau diese Gefahr Realität wird. Innenminister Roman Poseck ist zu Besuch, um sich im Rahmen seiner Sommertour ein Bild vom Blackout-Konzept des Hochtaunuskreises zu machen. Es ist mehr als ein symbolischer Termin. Es ist eine Anerkennung dafür, dass hier vorausschauend geplant und gehandelt wird – für den Fall, dass der Strom einmal nicht nur kurz, sondern tagelang ausfällt.

„Der Hochtaunuskreis zeigt eindrucksvoll, was vorausschauende Katastrophenvorsorge leisten kann“, erklärt Poseck vor Ort. Die Verantwortlichen, so betont er, denken „mit Herz, Verstand und Struktur“. Und das ist keine Floskel. Denn das vorgestellte Konzept ist bis ins Detail durchdacht und fußt auf dem Bewusstsein, dass ein großflächiger Stromausfall längst keine theoretische Bedrohung mehr ist.

Mehr als ein Notfallplan

Zentraler Bestandteil des Plans sind über 60 sogenannte „Leuchttürme“ – Feuerwehrgerätehäuser, die bei einem Blackout zu Anlaufstellen für die Bevölkerung werden. Ausgestattet mit Notstrom, Satellitenkommunikation und geschultem Personal dienen sie als lokale Zentren der Sicherheit. Menschen können hier Informationen erhalten, Notfälle melden und sich orientieren. Große rote Schilder mit einem weißen Leuchtturm-Symbol machen sie im Krisenfall schnell erkennbar.

Doch das ist nur eines von mehreren Modulen des umfassenden Vorsorgekonzepts. Trinkwasserausgabestellen sichern die Versorgung der Bevölkerung auch bei Ausfall des Leitungsnetzes. Mobile Lautsprecher auf Einsatzfahrzeugen übernehmen die Warnkommunikation, wenn digitale Kanäle wie Radio, Fernsehen und Apps ausfallen. Besonders bedacht ist die Kraftstoffversorgung – immerhin müssen im Ernstfall täglich bis zu 137.000 Liter Diesel bereitgestellt werden, um Notstromaggregate zu betreiben. Selbst die Bedürfnisse der rund 4.300 Menschen in häuslicher Pflege, viele davon abhängig von strombetriebenen Geräten, wurden in enger Abstimmung mit Pflegediensten in die Planung einbezogen.

Die Zusammenarbeit reicht dabei weit über Kreisgrenzen hinaus. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Hilfsorganisationen, benachbarte Kreise und Unternehmen aus dem KRITIS-Sektor ziehen an einem Strang. 2023 wurde sogar ein 24-stündiger Stromausfall simuliert, um Abläufe und Schnittstellen in der Praxis zu testen. Ein Kraftakt – aber einer mit Signalwirkung.

„Was früher als Ausnahme galt, muss heute Teil der strategischen Risikovorsorge sein“, betont Innenminister Poseck. Und das Engagement des Hochtaunuskreises dient bereits als Blaupause: Das Innenministerium arbeitet an einer Rahmenempfehlung auf Landesebene, die auf diesem Modell basiert. Auch Schulungen für Katastrophenschutzstäbe und Verwaltungen sollen landesweit ausgerollt werden.

Fachspezifischer Hintergrund: Technische und operative Bausteine der Blackout-Vorsorge

Das Einsatzkonzept des Hochtaunuskreises ist modular aufgebaut und basiert auf einem klar strukturierten Prioritätensystem. Insgesamt wurden 184 sogenannte „Schutzziele“ identifiziert – darunter Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Rettungsdienste, Wasserwerke und Verwaltungseinheiten. Diese wurden in fünf Prioritätsstufen eingeteilt, um im Krisenfall eine gezielte Notstromversorgung zu gewährleisten. Die dafür erforderliche Treibstoffmenge wird mit bis zu 137.000 Litern Diesel pro Tag beziffert. Dank dezentraler Tanklager und einer engen Kooperation mit dem Mineralölhandel ist auch dieser Aspekt abgesichert.

Ein zentrales Element der Kommunikation im Krisenfall ist der Aufbau eines satellitengestützten Notfallnetzes. Über Systeme wie REDCOM und NYSEOS bleiben Verwaltungseinheiten, Einsatzleitungen und Leuchttürme verbunden – unabhängig vom Ausfall klassischer Kommunikationsnetze. Ergänzend wurde eine redundante Informationsstruktur etabliert: Neben Sirenen und Warn-Apps setzen die Behörden auf mobile Lautsprechereinheiten, um auch bei Ausfall der Infrastruktur die Bevölkerung direkt informieren zu können.

Auch die Trinkwasserversorgung wurde gesondert abgesichert. Fällt das zentrale Netz aus, stehen mobile Ausgabestellen bereit, an denen jeder Bürger bis zu sechs Liter Wasser pro Tag erhalten kann. Die logistische Planung dahinter basiert auf mobilen Transportsystemen und einer vordefinierten Verteilung über die Kommunen.

Ein besonders sensibler Teil der Planung betrifft die Versorgung von Menschen in der häuslichen Pflege. Viele sind auf Geräte wie Beatmungs- oder Ernährungspumpen angewiesen. In enger Zusammenarbeit mit Pflegediensten arbeitet der Kreis an einem Mechanismus, der diese Personen im Ernstfall gezielt erfasst und versorgt.

Zur Vorbereitung auf den Ernstfall wurden bereits umfangreiche Übungen durchgeführt – darunter 2023 ein vollständiges 24-Stunden-Szenario mit Einbindung aller relevanten Akteure. Ziel war es, nicht nur die Technik, sondern vor allem die Abläufe, Kommunikationswege und Zuständigkeiten unter realen Bedingungen zu erproben.

Dieses strukturierte und redundante Vorgehen macht das Konzept des Hochtaunuskreises zu einem Best-Practice-Beispiel kommunaler Resilienzplanung – und zeigt eindrucksvoll, dass moderne Katastrophenvorsorge mehr ist als ein Plan auf dem Papier: Sie ist ein Prozess, der Technik, Menschen und Organisationen in einem Ziel vereint – dem Schutz der Bevölkerung.

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